Der Jahrgang 2023 war für die Winzer von Bordeaux eine echte Herausforderung. Vor allem der hohe Pilzdruck mit falschem Mehltau im feuchtwarmen Juni stellte sie vor große Schwierigkeiten. Ständig musste mit viel Arbeitsaufwand, Technik und Know-how gegen alle Widrigkeiten, wie auch punktuellem Extremwetter, mit Leidenschaft und Engagement angekämpft werden. Wer eine falsche Entscheidung getroffen hat, musste Qualitäts- oder gar Mengeneinbußen hinnehmen. Die optimale und gleichmäßige Traubenreife zu erlangen, war außerordentlich schwer. Wer in diesem Labyrinth der agrikulturellen Anforderungen gut zu navigieren verstand, hat am Ende große Weine erzielt. Manche Châteaux sind dabei über sich hinausgewachsen! So ist auch 2023 ein heterogener Jahrgang, wie so oft in den letzten Jahren, mit teilweise ausgezeichneten bis großen Weinen. Nur die 100 Punkte wurden in diesem Jahr nicht glatt erreicht. Die erfolgreichen Weine zeigen eine kühle, klare Fruchtcharakteristik mit sehr guter Struktur und begeisternder Frische. Trotz hoher Gerbstoffausbeute werden diese Weine sehr schnell zugänglich sein und auch außerordentlich langlebig und frisch bleiben. Mit der Flaschenreife werden sie durchaus warme Jahrgänge wie 2018 überleben. Ein Jahrgang mit einem extrem großen Trinkzeitfenster! In beeindruckender Weise demonstriert die Elite von Bordeaux mit dem Jahrgang 2023 ihre weltweite weinbautechnische Überlegenheit! Die Adaptionsfähigkeit der Winzer und der erreichte technische Fortschritt sind überragend. Allerdings konnte man ohne einen leidenschaftlichen Einsatz im Weinberg, im Sinne von Leidensfähigkeit, keinen großen Wein erzeugen.
Die Marktsituation
2023 war für den Weinbau in ganz Europa ein schwieriges Jahr. In Italien musste die kleinste Erntemenge seit 40 Jahren verzeichnet werden, und auch in Bordeaux gestaltete sich der Anbau alles andere als einfach. Die Erträge variieren zwischen mageren 20 hl/ha und knapp unter den erlaubten Höchstgrenzen von etwas über 50 hl/ha. Und das unterschiedlich je nach Appellation.
Ursprünglich war der Fruchtbehang üppig, doch viele Erzeuger mussten früh einen Teil des Traubenguts zurückschneiden. Je besser man insbesondere mit dem falschen Mehltau zurechtkam, desto mehr konnte man sich über einen der höchsten Erträge freuen.
Bei den erfolgreichsten Châteaux zeigt sich ein seltenes Szenario: ausgezeichnete Qualität bei gleichzeitig hohem Ertrag. Da der Absatz von Bordeaux-Weinen auf den internationalen Märkten derzeit schleppend verläuft, ist ein Spielraum für sinkende Preise vorhanden. Dies wurde von allen Châteaux bei den Primeurs-Proben in Aussicht gestellt.
Dennoch möchten viele Erzeuger nur die gleiche Menge wie im vergangenen Jahr in Subskription anbieten. Sie sind fest davon überzeugt, dass der Preis für ihre 2023er Bordeaux in Zukunft deutlich steigen wird und die zurückgehaltenen Bestände in einem zukünftig besseren Marktumfeld deutlich höhere Preise erzielen werden. An der Beliebtheit der besten Weine bei Bordeaux-Liebhabern besteht kein Zweifel. Aufgrund ihrer weichen Struktur und zugänglichen Aromatik sind diese Weine schnell trinkbereit und versprechen großes Genusspotenzial.
Der Charakter
In Bordeaux pflegt man gerne die Unterscheidung zwischen einem warmen und klassischen Jahrgang. 2023 lässt sich jedoch keiner dieser beiden Kategorien klar zuordnen. Die Fruchtaromatik präsentiert sich eher kühl, klar und transparent, wie es für einen klassischen Jahrgang typisch wäre. 2023er Bordeaux zeichnen sich nicht durch überbordende Komplexität aus. Stattdessen zeigen sich die Weine geradlinig und geschliffen, wobei sie gleichzeitig eine sehr gute Länge erreichen. Das Terroir erhält durch die moderate Fülle einen besonders raumgreifenden Ausdruck. Die Gerbstoffe der gelungenen Weine sind voll ausgereift und reichhaltig, rund und anschmiegsam, eher wie in einem warmen Jahrgang. Die Säure ist sehr ausgewogen und oft so gut integriert, dass sie kaum wahrnehmbar ist. Frische und Zugänglichkeit prägen die besten Weine dieser Jahrgangs.
Die 2023er Bordeaux sind schnell trinkbereit und werden sich im Laufe ihrer Reife kaum verschließen, sondern permanent Genuss bieten. Gleichzeitig scheinen die besten Exemplare extrem langlebig zu sein.
Somit ist 2023 ein idealer Jahrgang sowohl für die Gastronomie als auch für junge Weinliebhaber, die ihre Bestände nicht lange reifen lassen möchten. Aber auch der klassische Sammler kommt in diesem Jahrgang voll auf seine Kosten!
Die schwachen Weine
Neben Spitzenweinen zeigt der Jahrgang 2023 in Bordeaux auch eine Vielzahl schwächerer Qualitäten. Die Situation erinnert in Teilen an Burgund, wo mitunter benachbarte Weingüter innerhalb derselben Lage Weltklasse-Pinot Noirs hervorbringen, während andere kaum beachtenswerte Gewächse produzieren.
In Bordeaux liegt dies vor allem am Know-how des jeweiligen Erzeugers. Bei den heutigen Herausforderungen ist es oft schwierig, genau zu wissen, welche Maßnahmen wann erforderlich sind. Punktuelle Wetterextreme in einzelnen Lagen sind keine Seltenheit mehr. Der Arbeitsaufwand im Weinberg war im Jahrgang 2023 enorm. Große Châteaux hatten ihr Personal in den letzten Jahren deutlich aufgestockt, um jederzeit handlungsfähig zu sein. Dies können sich jedoch nicht alle Betriebe leisten. Zudem befindet sich die Nachfrage nach Bordeaux-Weinen international in der Krise, obwohl die Region in den letzten Jahren viele hervorragende Weine in allen Preisklassen hervorgebracht hat. Infolgedessen sind die Kassen nicht auf allen Châteaux prall gefüllt.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist die technische Ausstattung. Im Jahrgang 2018, der ebenfalls einen hohen Pilzdruck aufwies, konnten viele Betriebe aufgrund von schwerem Boden nicht in die Weinberge zur Spritzung ausrücken. Besonders betroffen waren damals Bio-Erzeuger, die in solchen Situationen häufiger spritzen müssen als konventionelle Betriebe. Inzwischen wurden jedoch leichtere und effizientere Maschinen angeschafft. Wer bei Personal und Technik nicht investieren konnte und im Labyrinth der Herausforderungen zudem falsche Entscheidungen traf, sieht sich heute oft mit einem schwachen Wein am Start. Diese Weine können klein, dünn und unreif sein oder schlicht wenig aromatisch und mit kantigen Gerbstoffen. Von falschem Mehltau befallene Merlots führen häufig zu konfierten Aromen, mangelnder Frische und weniger aromatischer Vielfalt, mit dumpfer Erscheinung.
Auch in der Vinifikation wurden in Bordeaux in den letzten Jahren große Fortschritte erzielt. Top-Erzeuger haben meist neue Keller mit kleineren und unterschiedlich dimensionierten Tanks gebaut, um ihre Trauben gezielt kleinteilig und an ihre Parzellen angepasst verarbeiten zu können. Dies fördert die Präzision in den Weinen. Wer all diesen Fortschritten nicht folgen konnte, stand in 2023 eher vor größeren Problemen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass kleine Betriebe keine Chance hatten: Mit leidenschaftlichem Einsatz haben auch einige kleine Winzer große Erfolge gefeiert.
Die Heterogenität des Jahrgangs 2023 zieht sich daher durch alle Appellationen, Qualitätsstufen und Preisklassen, bis hin zu manch großem Namen ... watch out!